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Ein bayerischer Mythos

Von Thorsten Brückner

Der bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß Foto: picture alliance/dpa
Selbst sein Tod kündete von unsterblicher Größe und heizte die Legendenbildung an. Gestorben am 3.Oktober, auf den Tag genau zwei Jahre vor der Deutschen Einheit, beerdigt von einem späteren Papst, sein Trauermarsch begleitet von Zehntausenden. Nicht nur seine bayerischen Landsleute spürten an jenem Oktobertag 1988, daß eine Ära zu Ende gegangen war. Die Regentschaft von Franz-Josef Strauß ist der Beweis, daß die bloße Anzahl an Regierungsjahren nicht mit der politischen Schuhgröße zu verwechseln ist. Nur zehn Jahre Ministerpräsident, bleibt sein Name bis heute doch unaufhörlich mit dem Freistaat verbunden. Gleiches kann man von seinen Nachfolgern nicht behaupten.
Sein aus der Bahn geratener Zögling, Edmund Stoiber, regierte Bayern 14 Jahre. Von ihm bleiben neben unbeholfen wirkenden Reden vor allem seine mangelnde Volksnähe in Erinnerung. Der Mythos Strauß lebt hingegen noch heute. Aber er ist durch seine Erben in der CSU bis zur Unkenntlichkeit entstellt worden. Gerne bemüht man den „großen Franz-Josef Strauß“ für Volksfestreden, um die eigenen Anhänger zu mobilisieren. Sobald die Fernsehkameras angehen, sind führenden CSU-Größen Anspielungen auf Strauß aber längst peinlich geworden. Öffentliche Kritik am bayerischen Übervater ist dennoch nach wie vor tabu: Als sich Sozialministerin Christine Haderthauer 2009 in einem Interview zu der Aussage verstieg, Strauß sei kein Vorbild gewesen, pfiff Horst Seehofer sie eiligst zurück.
Christsoziale Laienschauspieler
Der Erfinder der parteiinternen Frauenquote, der mit der Koalition für Krippenausbau und Euro-Rettung gestimmt hat und Wahlkämpfe heute gerne mit seichten Bierzeltthemen wie der PKW-Maut gewinnt, braucht den langen Schatten Strauß’. Viele ältere Bayern haben beim Gang in die Wahlkabine eben immer noch jene legendären Passauer Aschermittwochsveranstaltungen im Kopf, die sie schon mal aktuelle Konturlosigkeiten der Christsozialen vergessen lassen. Sein einzig legitimer Erbe, der Münchner Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler, der wie Strauß sowohl ein Intellektueller ist als auch das bayerische Lebensgefühl authentisch verkörpert, wird in der CSU an den Rand gedrängt. Wenn hingegen Seehofer im Wahlkampf sein „Mia san mia, und uns kann koana was“ anstimmt, wirkt er wie ein Laienschauspieler in einem folkloristischen Kabarett. Hut und Tracht komplettieren dieses Bild nur.
Nicht nur inhaltlich hat sich die CSU inzwischen von Strauß entfernt. Während der ehemalige Schongauer Landrat auch mal bei einem Wahlergebnis von 56 Prozent eine Miene zog, als hätte die CSU gerade den Parlamentseinzug verpaßt, feiern seine Nachfolger heute schon 47 Prozent wie einen Hegemonialanspruch. Die Quittung für eine Partei, die sich immer mehr dem Zeitgeist angepaßt hat? Deren Damenriege um Vize-Generalsekretärin Dorothee Bär zum bayerischen Schulbeginn im September genderbewußt allen „Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern“ einen guten Schulstart wünschte? Was hätte Strauß wohl hierzu gesagt, der den Kampf um die Sprache einst als wesentliche Voraussetzung der geistigen Selbstbehauptung definiert hat? Der beklagte, wie Sozialisten Begriffe „mit anderem Inhalt gefüllt“ und dann als „Wurfgeschosse“ gegen Konservative verwendet hätten?
Ikone der Meinungsfreiheit
Von seinen Bayern wurde Strauß geliebt, von Norddeutschen mit eigentümlichem Befremden wahrgenommen, von Linken wurde er gehaßt. In Zeiten, in denen sich Politiker für die Benutzung des Wortes „entartet“ gegen den Vorwurf mangelnder Abgrenzung zu braunem Gedankengut verteidigen müssen, wirken Strauß’ Reden wie ein Relikt aus einer Epoche, in der Meinungsfreiheit mehr war als ein bloßes Verfassungspostulat. Auch für jene linksradikalen Aktivisten, die im Wahlkampf 1980 quer durch die Republik reisten, um seine Reden zu stören, fand er die passenden Worte: „Ihr wäret die besten Schüler von Dr. Goebbels gewesen, ihr wärt die besten Anhänger von Heinrich Himmler gewesen.“ Strauß Reden waren aber nicht nur polternd, sie hatten auch Substanz. Er konnte die Leute im Bierzelt ebenso begeistern wie Parlamentsbeobachter mit flammenden Appellen im Bundestag. In seiner Amtszeit als Ministerpräsident zwischen 1978 und 1988 katapultierte er das wirtschaftlich als Armenhaus der Republik geltende Bayern vom letzten Platz auf den Spitzenrang unter den Bundesländern.
Dennoch: Bei aller bajuwarischen Volkstümlichkeit blieb Strauß zeit seines Lebens ein Deutschnationaler. Unter seinen bundespolitischen Ambitionen litten nicht zuletzt die Franken und Bayern. Strauß hätte über die Popularität verfügt, den Traum seines engsten Adjudanten und damaligen Bayenkurier-Herausgebers Wilfried Scharnagel wahrzumachen und Bayern aus dem deutschen Staatenverbund herauszulösen. Strauß’ Ziel, von München aus Einfluß auf die Bundespolitik zu nehmen, mutet in Zeiten Brüsseler Gleichschaltung und transnationaler exekutiver Kungelei geradezu naiv an. Am 3. Oktober wird sein Nachfolger im Amt des bayerischen Ministerpräsidenten, Horst Seehofer, an der Gruft der Familie Strauß in Rott am Inn einen Kranz zum Gedenken an einen der größten deutschen Politiker der Nachkriegsgeschichte niederlegen. Er ehrt einen Mann, der sich von der heutigen Politik seiner Partei mit Grausen abgewendet hätte.
Quelle: www.jungefreiheit.de/Single-News-Dis…