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Kuehnelt-Leddihn: Der Tod von Ernst Jünger - Alle Wege führen nach Rom

von Erik Maria Ritter von Kuehnelt-Leddihn

"Ernst Jünger starb am 17. Februar 1998 und mit ihm, der sein 103. Lebensjahr gerade nicht mehr vollenden konnte, verlor Deutschland seinen größten Schriftsteller. Es gibt niemanden mehr, der nur annähernd mit ihm vergleichbar wäre. In Amerika war er wenig bekannt, aber in Frankreich, wo man ihn kurz „E. J.“ nannte, fand er vielleicht einen größeren Widerhall als in der Heimat. Die großen Intellektuellen beider Länder schätzen einander ja immer. Politisch war Jünger stets ein Mann der äußersten Rechten und ein vehementer Antinationalsozialist gewesen. Er nannte sich selber einen Anarchen, aber nicht Anarchisten. Ich kannte ihn seit 45 Jahren und kenne auch seine zweite, ihn überlebende Frau.
Sein Tod sollte uns angesichts der in der gesamten westlichen Welt - in Europa einschließlich Rußlands, wie auch in Nordamerika - herrschenden enormen kulturellen Krise besonders berühren. Wirklich große Autoren, Dichter, Maler, Bildhauer, Architekten, Komponisten, Philosophen, Theologen - wo sind sie? (Lateinamerika geht es besser. Nicolás Gômez Dávila starb erst vor zwei Jahren.) Was aber ist der Grund für diesen Verfall, während die Naturwissenschaften einen so ungeheuren Fortschritt verzeichnen können? Ich bin sicher, daß er zutiefst im Religiösen wurzelt. Aber das ist ein anderes Thema.
Wer war Ernst Jünger wirklich? Was stellte er dar? Er war der Sohn eines Magisters der Pharmazie, was eine klassische Schulbildung (Latein und Griechisch) voraussetzte. Mit 17 Jahren verließ Ernst plötzlich die Schule und trat in die französische Fremdenlegion ein. Nach einigen Monaten gelang es aber seinem Vater unter großer Anstrengung und erheblichen Kosten, ihn freizubekommen. Er kehrte zur Schule zurück, aber als der Erste Weltkrieg ausbrach, kämpfte er an der Westfront gegen die Franzosen, wurde viermal verwundet und erhielt die höchste Auszeichnung: den preußischen Orden Pour le Mérite. (Die nichtmilitärische Version dieses Ordens gibt es noch, aber mit Jüngers Tod endete die militärische Version, die von den Nationalsozialisten als zu elitär nicht übernommen worden war.) Ernst Jünger war bei der Reichswehr bis 1923 und wurde berühmt durch sein Buch „In Stahlgewittern“.
In ihren Anfängen waren die Nationalsozialisten von Jünger sehr eingenommen. Hitler bot ihm zweimal einen Sitz im Reichstag an, den Jünger mit der Begründung ablehnte, er sei nicht gewillt 60.000 Idioten zu vertreten. Als ein Mann der Rechten war er ein vehementer Antidemokrat und Antipopulist, und schließlich erkannten auch die Nationalsozialisten seine wahre Einstellung. Sie bestanden natürlich darauf, die echten Demokraten zu sein, das Gegenstück zur Französischen Revolution, und die deutsche Linke zu verkörpern.
Hätten sie Jüngers „Der Arbeiter“ sorgfältig gelesen, wären sie daraufgekommen, daß er sowohl den Nationalismus als auch den Sozialismus als veraltet, dem 19. Jahrhundert zugehörig empfand. Es kam der Zweite Weltkrieg und mit ihm eine Reihe weiterer Bücher von Jünger. In „Gärten und Strassen“ finden wir folgenden Absatz: „An gewissen Scheidewegen unserer Jugend könnten uns Bellona und Athene erscheinen, die eine mit dem Versprechen, uns die Kunst zu lehren, wie man 20 Regimenter ins Treffen führt, während die andere uns die Gabe verspricht, 20 Worte so zu fügen, daß ein vollkommener Satz durch sie gebildet wird. Es könnte sein, daß wir den zweiten Lorbeer wählten, der seltener und unsichtbarer am Felsabhang blüht.“ Der Kritiker des „Der Völkische Beobachter“ bemerkte dazu: „Zwanzig Regimenter sind für uns immer noch von größerer Bedeutung.“

Dieses Buch, erschienen 1942, war bald nicht mehr erhältlich, weil der Verleger dafür kein Papier mehr zugeteilt bekam. Es wurde aber in Paris neu verlegt, wohin Jünger beordert worden war mit dem Auftrag, die Geschichte des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus in der Armee zu schreiben. Man vergesse nicht: der Armee beizutreten, galt als der kürzeste Weg in die Emigration. (Parteimitglieder mußten ihr Parteibuch abgeben und der Hitlergruß wurde erst nach dem Attentat des 20. Juli eingeführt.) Jüngers aufregendstes Buch aber, „Auf den Marmorklippen“ erschien zu Weihnachten 1939 mit der Bemerkung, daß der Autor sich in der Wehrmacht befinde, eine Warnung also an den Zensor. Der schmale Band erzählt ein symbolisches Märchen. Der Zensor brauchte natürlich einige Zeit, um die komplizierten Symbolismen zu durchschauen und nachdem Patrioten in der Armee der Beteiligung am Attentat auf Hitler überführt worden waren, verlangte der amtierende Richter und frühere Kommunist Freisler, daß Jünger verhaftet und vor Gericht gebracht werde - aufgrund des Buches „Auf den Marmorklippen“ und als „geistiger Urheber“ des Attentats. Das wurde jedoch von Hitler verhindert. Der Skandal wäre zu groß gewesen.
Jünger hatte mehr Glück als Friedrich Reck-Malleczewen, ein Ostpreuße der katholisch wurde und in seinem Buch „Bockelson“ mit dem anabaptistischen Tyrannen von Münster offensichtlich Hitler meinte. Nach dem Attentat wurde er verhaftet und kam am 16. Februar 1945 in Dachau um.
Schon während des Krieges hatte Jünger ein Essay „Über den Frieden“ geschrieben, das heimlich verbreitet wurde. Nach dem Krieg ließ er sich in der französischen Besatzungszone Deutschlands nieder, da die amerikanischen und britischen Besatzungsmächte ihn als einen „Feind der Demokratie“ (der er immer war) behandelten und ein Veröffentlichungsverbot über ihn verhängten. Im deutschen Südwesten aber fand er im Forsthaus eines stauffenbergischen Schlosses ein Heim. Er war schon längst verheiratet. Seine erste Frau hinderte ihn daran, seinen ältesten Sohn katholisch taufen zu lassen. (Dieser wurde im Zweiten Weltkrieg bei der Flak als Anti-Nationalsozialist verhaftet, wieder freigelassen, in die Armee versetzt und fiel auf den Marmorklippen von Carrara!)
Es mag Staunen erregen, daß ein als Protestant erzogener aber sich keiner Konfession verbunden fühlender Mann seinen Sohn katholisch taufen lassen wollte. Aber man muß bedenken, daß Jünger ein äußerst kultivierter Mann war. Die Reformation hat keine eigenständige Kultur entwickelt, die Wunderwerke des Mittelalters sind immer noch gegenwärtig und die Wiederbelebung der Kunst durch die Gegenreformation - Sakralbauten, Bilder, Skulpturen, Musik und schließlich auch nicht zu vergessen: die Kochkunst - das alles beeindruckt und beeinflußt auch die bei uns lebenden Andersgläubigen. Jeder gebildete Europäer ist zutiefst geschockt beim Anblick der Verwüstungen, die in den französischen Kirchen und Kathedralen zuerst durch die Kalvinisten und dann durch die Jakobiner verübt wurden. (Ich sah auch die Zerstörung in der Antoniuskirche von Belfast durch die Anhänger von Pastor Paisley. Solche Barbareien hatte Luther in Deutschland verhindert, aber bis 1870 wurde, zum Beispiel, in Leipzig nach der Reformation keine einzige Kirche gebaut. Die großartige Entwicklung der Malerei in Deutschland wurde durch die „neue Religion“ unterbrochen. In der Schweiz entfernte Zwingli nicht nur alle Bilder, sondern auch die Orgel aus seiner Kirche. Die Kunst aber ist doch „eine Enkelin Gottes“.)
Nach dem Krieg veröffentlichte Jünger zahlreiche Romane und Essays und schließlich in der Reihe „Siebzig verweht“ fünf Bände seiner Erinnerungen, in denen er mich mehrmals erwähnt, charakterisiert und zitiert. Anfangs bezog sich unser Briefwechsel auf kulturelle und politische Themen, doch später waren es meist religiöse und spirituelle. Der Wendepunkt kam mit Jüngers Definition der Unbefleckten Empfängnis. Im ersten Band seiner Erinnerungen hatte er den selbst unter Katholiken weit verbreiteten Irrtum begangen, Marias Freisein von der Erbsünde mit der jungfräulichen Geburt Christi zu verwechseln. Das wirft, nebenbei bemerkt, einen dunklen Schatten auf den Begriff der Ehe. Im nächsten Band erwähnte er meine Richtigstellung. Sein Interesse am Glauben war stets groß. Während seiner Jahre in Paris hatte er die gesamte Bibel zweimal gelesen und auch die Werke vieler französischer Katholiken, besonders von Léon Bloy, der Maritain bekehrt hatte. Jünger las auch Schweizer Autoren; vor allem Jakob Burckhardt hatte grossen Einfluß auf ihn.

Seine Briefe und Tagebücher bestätigen Jüngers grundlegenden Sinn für das Spirituelle sowie seinen Glauben an die Ewigkeit und an einen persönlichen Gott. Anläßlich seines 100. Geburtstages besuchten ihn Präsident Mitterand (ein Sozialist) und Bundeskanzler Kohl. Jetzt erschien sogar eine Sondermarke der deutschen Post mit seinem Portrait. Seine Interessen erstreckten sich nicht nur auf Kunst und Kultur, sondern auch auf die Naturgeschichte, besonders auf Insekten. Ein Schmetterling ist sogar nach ihm benannt (lat. Pyralis Jüngeris Amsel) Während der beiden letzten Jahre korrespondierte ich mit ihm nur indirekt über seine zweite Frau, einer Doktorin der Philosophie. Glücklich verheiratete Männer nehmen nach dem Tod der ersten Gattin meist eine zweite. Gute Männer lieben Frauen allgemein, nicht nur im besonderen. Sie freuen sich an ihrem Verschiedensein. Schließlich ist die Muse weiblichen Geschlechts. Jünger war entschieden ein guter Mann, freundlich und angenehm. „Im dunklen Zeitalter der Demokratie“, wie Herman Melville, der große amerikanische Klassiker, es nannte, führte er ein ungemein produktives Leben. Er galt allgemein als kalt, unnahbar und arrogant - alles völlig unrichtig. Ich habe für seine Bekehrung viel und innig gebetet und die Nachricht von seinem Tod hatte mich vorerst sehr betrübt. Ich konnte seinem Begräbnis nicht beiwohnen, empfand aber große Erleichterung und Freude als ich es im Fernsehen verfolgte: eine katholische Zeremonie! Da ich seine Witwe, der ich bereits kondoliert hatte, nicht belästigen wollte, rief ich seine Pfarrei an. Er war mit dem verstorbenen alten Pfarrer sehr befreundet gewesen und dessen Nachfolger sagte mir, daß Jüngers Konversion bereits nach seinem 100. Geburtstag stattgefunden habe. Zu seinem 95. Geburtstag hatte er schon einen päpstlichen Segen erhalten. Warum aber diese Zurückhaltung, da der Wandel bereits im 5. Band seiner Erinnerungen bemerkbar ist? Er wollte offensichtlich eine Sensation vermeiden, die ihm einen enormen Aufwand an Korrespondenz, Arbeit und viel Aufregung gekostet hätte.
Jünger glaubte ja schon sehr lange an ein ewiges Leben. In einigen Wochen werde ich mein 90. Lebensjahr beginnen und ich bin sicher, daß wir uns in einiger Zeit vor unserem Erlöser begegnen werden - je früher, je besser"
in: Timor Domini, 12. Juni 1998
Quelle: www.monarchieliga.de/index.php